Scheidung vom kranken Partner

Frau Schaukelt iurFRIEND® AG

Dienstag, 16.04.2013 , geschrieben von iurFRIEND-Redaktion

Schaubild

Ist Ihre Ehe zerrüttet und gescheitert, ist die Beziehung kaum mehr reparabel. Die logische Konsequenz ist die Scheidung. Ist der Partner psychisch krank, kann es ausnahmsweise geboten sein, die Scheidung aufzuschieben und die Ehe zumindest für einen vorübergehenden Zeitraum aufrechtzuerhalten. Daraus ergeben sich zwei Fragen moralischer und rechtlicher Art: Schieben Sie die Scheidung aus ehelicher Solidarität und Rücksichtnahme für den psychisch kranken Partner zumindest so lange auf, bis sich die Situation einigermaßen stabilisiert hat? Und auf welche rechtlichen Ansätze kann sich der Partner berufen, wenn er/sie aufgrund der psychischen Erkrankung einen im Gesetz definierten Härtefall geltend macht?

Wie wichtig ist Ihnen Ihre eheliche Solidarität?

Als Sie geheiratet haben, haben Sie sich gegenseitige Treue geschworen und versprochen, zeitlebens füreinander Verantwortung zu tragen und füreinander einzustehen. Dieses Versprechen ist brüchig geworden. Es versteht sich, dass es keinen Sinn macht, eine zerrüttete und gescheiterte Ehe aufrechtzuerhalten, selbst wenn der Partner aus welchen Gründen auch immer an der Ehe festhalten möchte. Eine Ehe ist eine Partnerschaft. Dafür braucht es immer zwei Personen. Ist die Partnerschaft zerbrochen, sollte aus Gründen der Vernunft und der Lebensperspektive eine Scheidung möglich sein.

 

Sie werden also abwägen müssen, ob Sie Ihre eigene Lebensperspektive gegenüber Ihrer ehelichen Solidarität und der vielleicht gebotenen Rücksichtnahme auf die Situation des Partners oder der Partnerin stärker gewichten oder nicht. Dies ist eine Entscheidung, die Ihnen niemand abnehmen kann.

Was bedeutet es, wenn der Partner krank ist?

Welche Auswirkungen ein solcher Schicksalsschlag auf eine Partnerschaft hat, hängt stark von der Schwere und Art der Krankheit ab. Eine Krebserkrankung oder eine Querschnittslähmung hat ganz andere Konsequenzen für den Betroffenen und für den Partner als eine Depression oder eine Borderline-Erkrankung. Auch das Zusammenleben mit einem Suchtkranken kann sich wieder ganz anders gestalten. Jedes dieser Schicksale ist individuell und in manchen Fällen ist einePartnerschaft schwerer zu meistern als in anderen. Ein Spaziergang ist es aber in keinem Fall und nicht selten kann eine Partnerschaft daran zerbrechen.

„Warum gerade jetzt?“

„Wie kannst du mich einfach im Stich lassen? Ich bin doch krank!“ Das sind die typischen als Fragen getarnten Vorwürfe, vor denen sich Menschen, die sich von einem kranken Partner trennen, fürchten. Und bevor man zum Mittel der Trennung greift, setzt man sich genau mit diesen Fragen oft intensiv auseinander. Doch auch hier kann die Ausgangslage sehr unterschiedlich sein. Die einen wollten ihren Partner schon vor der Erkrankung verlassen, weil sie nicht mehr glücklich in ihrer Partnerschaft sind. Andere hätten die Ehe gerne weitergeführt, fühlen sich aber mit den Konsequenzen der Erkrankung überfordert und wieder andere haben sich mehr oder weniger bewusst auf einen kranken Menschen eingelassen und merken jetzt, dass sie die Schwierigkeiten unterschätzt haben, die der Umgang mit dem kranken Partner sich bringen kann. Die Gewissenskonflikte, die sich daraus ergeben, sind in allen drei Fällen ähnlich: Kann ich ihn/sie jetzt im Stich lassen? Sollte ich nicht dankbar für jede gemeinsame Minute sein? Braucht er/sie nicht gerade jetzt meine Liebe und Zuwendung?

 

Natürlich tut es besonders weh, in so einer schwierigen Situation verlassen zu werden und man würde sich selbst auch wünschen, dass der Partner in der Not für einen da ist. Hinzu kommen vielleicht noch gemeinsame Kinder, die man mit einer Trennung auch verletzen würde. Und – weniger altruistisch betrachtet: Man muss bei einer Scheidung von einem kranken Partner auch damit rechnen, womöglich Unterhalt wegen Krankheit und Gebrechen zahlen zu müssen. Alles Gründe, sich genügend Bedenkzeit zu nehmen, bevor man direkt das Handtuch wirft.

Wie weit reicht die Kraft?

Aber soll ich um jeden Preis bleiben? Gerade schwerwiegende Erkrankungen des Partners können das Zusammenleben sehr belastend machen. Kaum etwas kann seinen gewohnten Gang nehmen, in vielen Bereichen ist man eingeschränkt und muss Rücksicht nehmen. Vielleicht ist der baldige Tod des Partners absehbar. Man sieht, wie der Partner sich quält, und ist nicht wirklich in der Lage zu helfen. Hinzu kommen Verhaltensänderungen, die – gerade bei psychischen Krankheiten – direkt oder indirekt von der Krankheit kommen. Der andere wird vielleicht undankbar, mürrisch, traurig, lethargisch oder über die Maßen fordernd. Im schlimmsten Fall kommt gar nichts mehr an Liebe oder Bestätigung zurück – die Partnerschaft wird zu einem einseitigen Nehmen. Eine solche Veränderung geht nicht spurlos an der Liebe vorbei. Natürlich muss das nicht so sein, aber es ist durchaus denkbar.

 

Die wichtigste Frage, wenn es darum geht, zu entscheiden, ob man bleibt oder geht, ist dieselbe wie auch bei einem gesunden Partner: Ist die Liebe noch intakt? Denn nur dann kann man die Kraft finden, diese Hürde gemeinsam zu meistern, ohne sich selbst zu verlieren. Natürlich spielt es auch eine Rolle, wie lang man bereits zusammen und verheiratet ist. Aber in keinem Fall sollte man aus Mitleid oder Pflichtgefühl zusammenbleiben. Auch der gesunde Partner hat das Recht auf eine normale Beziehung, bei der er auch etwas zurückbekommt und umgekehrt hat der Kranke ein Recht auf Ehrlichkeit. Denn gerade er braucht jemanden, der zu ihm steht und der auch die Kraft hat, zu ihm zu stehen.

 

Entsprechend ist die zweite wichtige Frage: Haben Sie die Kraft dafür? Wenn Sie das eher nicht glauben, sollten Sie besser den Notausstieg wählen. Wenn Sie nämlich Ihre eigenen Bedürfnisse verleugnen und gegen jede Vernunft bei Ihrem Partner bleiben, obwohl Sie es eigentlich nicht möchten, riskieren Sie Ihre eigene Gesundheit. Mit etwas Pech erkranken Sie selbst an Depression. In jedem Fall besteht aber das Risiko, dass Sie Ihren Partner später für Ihr eigenes Unglück verantwortlich machen.

 

Wenn Sie aber kämpfen wollen, müssen Sie das richtig angehen. Oft hilft erst mal eine Auszeit von der Situation, um sich über die Dinge klar zu werden. Dann muss auch der Kranke bereit sein, sich – soweit möglich – wie ein normaler Partner zu verhalten, der auch Ihre Bedürfnisse respektiert. Vor allem aber sollten Sie sich Hilfe von außen holen. Niemand sagt, dass Sie das ganz allein durchstehen müssen.

EXPERTENTIPP

Trennung ohne Scheidung

Leben Sie bereits getrennt, dürfte es leichter sein, ungeachtet der rechtlichen Möglichkeiten die Scheidung aufzuschieben und abzuwarten, bis sich die Situation des Partners so stabilisiert hat, dass die Scheidung akzeptiert wird. Leben Sie aber noch in der ehelichen Wohnung zusammen, wird es schwieriger, den Partner allein zurückzulassen. Dies gilt insbesondere, wenn das Risiko eines Suizids besteht. Der Partner kann nicht verhindern, dass Sie aus der ehelichen Wohnung ausziehen. Umgekehrt können Sie den Partner auch nicht aus Ihrer ehelichen Wohnung hinauswerfen. Die eheliche Wohnung ist und bleibt in der Zeit Ihrer Trennung Ihre gemeinsame eheliche Wohnung. Jeder Partner hat das gleiche Nutzungsrecht. Auf die Eigentumsverhältnisse oder darauf, wer den Mietvertrag unterzeichnet hat, kommt es nicht an. Die behutsame Trennung kann dazu beitragen, den Weg zur Scheidung behutsam vorzubereiten. Es ist anzunehmen, dass Sie Zeit für Sie arbeitet.

Wäre Ihre Scheidung ein Härtefall?

Kommen wir zum rechtlichen Ansatz. Selbst wenn Sie sich dafür entscheiden, den psychisch erkrankten Partner zu verlassen und die Scheidung einzureichen, sollten Sie sich den rechtlichen Ansatz vergegenwärtigen. Sie müssen damit rechnen, dass sich der Partner der Scheidung verweigert. Wegen seiner psychischen Erkrankung könnte sich der Partner auf die Härteklausel des § 1568 BGB (Ehegattenschutzklausel) berufen. Danach …

 

„soll die Ehe nicht geschieden werden, obwohl sie gescheitert ist, wenn und solange die Scheidung für den Partner, der die Scheidung ablehnt, aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung Ihrer Belange ausnahmsweise geboten erscheint.“.

 

Die Chancen, dass sich der psychisch kranke Partner auf die Ehegattenschutzklausel beruft und aufgrund seiner Situation einen Härtefall begründet, werden oft überschätzt. Es kann nicht darum gehen, die Scheidung schlechthin zu verhindern. Es geht vielmehr darum, die Scheidung zur „Unzeit“ zu vermeiden. Der Ehepartner, der mit der Scheidung nicht klarkommt, soll sich Zeit verschaffen können, sich auf die Auflösung der Ehe einzustellen. Umstände, die allein schon durch die Trennung und die Zerstörung des ehelichen Verhältnisses eingetreten sind, bleiben außer Betracht.

 

Der Aufschub der Scheidung muss daher das einzige brauchbare Mittel sein, den Ehepartner von einer für ihn oder sie ansonsten entstehenden unerträglichen Lage zu bewahren. Eine allein durch das Scheitern der Ehe verursachte Härte genügt dafür nicht (BGH NJW 1979, 1042). Die Rechtsprechung hat in einer Reihe von Fällen individuell abgewogen und entschieden, wann die Ehegattenschutzklausel eingreift und wann nicht. In der Mehrzahl der Fälle werden Härtefälle abgelehnt.

CHECKLISTE

Was muss ich nach einer Trennung beachten?

Um Ihre Trennung möglichst reibungslos abzuwickeln, empfiehlt es sich, einige Sofortmaßnahmen zu ergreifen. 

Checkliste

Sofortmaßnahmen bei einer Trennung

So finden Sie Unterstützung bei einer Trennung und wissen, welche ersten Schritte Sie im Hinblick auf eine spätere Scheidung unternehmen sollten.

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Beispiele aus der Rechtsprechung

  • Eine vorzeitige Scheidung kommt als Härtefall bereits vor Ablauf des Trennungsjahres in Betracht, wenn ein Ehepartner an Depressionen, Panikattacken und Selbstmordgedanken leidet. Dann kann es dem anderen Partner nicht zuzumuten sein, an der Ehe festhalten zu müssen (Kammergericht Berlin, Beschluss v. 4.10.2017, Az. 13 WF 183/17).
  • Ist ein psychisch kranker Ehepartner suizidgefährdet, darf die Ehe nicht geschieden werden, bis eine ausreichend medizinische Versorgung gesichert ist (OLG Schleswig-Holstein, Urteil v. 21.12.2005, Az. 15 UF 1985/05). Auch wenn die Ehe gescheitert ist, müsse der Ehemann, der seit Jahren von der Frau getrennt lebt und die Scheidung einreicht, alles Zumutbare unternehmen, um Gefahren für Leben und Gesundheit seiner Frau möglichst auszuschließen.
  • Die psychischen Folgen, die erst durch die Trennung auftreten, begründen keinen Härtefall. Dies gilt insbesondere, wenn der psychisch kranke Ehegatte eine fachärztliche Behandlung seiner Depressionen ablehnt (OLG Brandenburg, Urteil vom 6.11.2008, Az. 9 UF 50/08).
  • Ein psychisch kranker Ehegatte muss die seelische Belastung durch die Trennung und Scheidung hinnehmen und zwar auch dann, wenn er meint, sich mit der Trennung nicht abfinden zu können (BGH, Urteil vom 31.1.1979, Az. IV ZR 72/78).
  • Hat ein Ehepartner die Befürchtung, dass er/sie nach der Scheidung allein sei und wegen seines hohen Alters die Hilfe des anderen vermisse, kann er die Scheidung nicht verhindern (OLG Brandenburg, Az. 9 UF 208/06). Der Ehepartner sei selbst dafür verantwortlich, durch eine neue Partnerschaft oder durch Inanspruchnahme familiärer, freundschaftlicher oder professioneller Hilfeleistungen seine Situation beherrschbar zu machen, zumal die vorgetragenen Umstände meist mit jeder Scheidung einhergehen.
  • Droht der Ehepartner, sich umzubringen, kann er/sie die Scheidung nicht verhindern, solange er sein Verhalten steuern kann und vor der Gefahr einer Fehlreaktion durch die Aufrechterhaltung der Ehe allein nicht geschützt werden kann. Dies trifft aber dann wiederum nicht zu, wenn sich der Ehepartner in einer psychischen Ausnahmesituation befindet, in der er/sie das eigene Verhalten nicht in ausreichendem Maße verantwortlich steuern kann (BGH NJW 1981, 2808).
  • Leidet der Ehepartner unter psychisch steuerbaren Depressionen, greift die Ehegattenschutzklausel nicht (OLG Stuttgart FamRZ 1992, 320).
  • Verspricht sich ein psychisch labiler Alkoholiker Sicherheit, wenn er die Ehe fortsetzen kann, kommt die Ehegattenschutzklausel nicht in Betracht (OLG Schleswig NJW 1978, 53).
  • Ist ein Ehepartner in der Lage, Hilfe in Anspruch zu nehmen und lehnt jegliche Hilfe ab, ist auch eine Depression als Vorstufe für einen potentiellen Suizid kein Grund, die Ehe aufrechtzuerhalten, selbst wenn sich die Situation verschlechtert (OLG Stuttgart, 16 UF 181/91).

 

Wer muss was beweisen?

Beruft sich der Ehegatte auf die Ehegattenschutzklausel und will einen Härtefall begründen, muss er/sie darlegen und beweisen, dass er besonderen Schutzes bedarf. Dazu sind diejenigen Tatsachen konkret vorzutragen, die in der konkreten Situation eine schwere und unzumutbare Härte begründen. In der Praxis ist es meist so, dass das Familiengericht einen Sachverständigen beauftragt. Kann der Sachverständige die Gefährdungslage nicht zweifelsfrei klären, ist die Ehe im Zweifelsfall zu scheiden (OLG Karlsruhe, FamRZ 2000, 1419). Das Familiengericht ist nicht verpflichtet, von sich aus die für die Beurteilung der Situation notwendigen Umstände festzustellen.

 

Dabei darf nicht der Eindruck entstehen, dass allein die Belange des psychisch kranken Partners die Richtung vorgeben. Auch die Belange des Partners, der die Scheidung wünscht, sind in die Abwägung einzubeziehen. Es kommt insgesamt darauf an, für wen die Härte, geschieden oder nicht geschieden zu werden, überwiegt.

Wie sollten Sie sich verhalten?

Trennung und Scheidung bringen es zwangsläufig mit sich, dass immer wieder schwerwiegende seelische Konflikte entstehen. Möchten Sie geschieden werden, spricht für Sie, dass der Partner für sein Schicksal und seine Lebenssituation selbst verantwortlich ist, egal wer die Trennung verursacht hat. Ihre Ehe ist kein Selbstzweck. Sie muss geschieden werden, wenn sie gescheitert ist. So steht es mit dem Zerrüttungsprinzip im Gesetz. Es ist mit der Zielsetzung einer Ehe kaum in Einklang zu bringen, wenn die Ehe gegen den Willen eines Ehepartners bedingungslos aufrechterhalten werden soll.

 

Eine Empfehlung kann darin bestehen, dass Sie zwar die Trennung vollziehen, die Scheidung aber zumindest so lange aufschieben, bis der Ehepartner sich auf die Situation zumindest soweit eingestellt hat, dass er/sie zumindest in einem potentiellen Suizid keine Lösung sieht. Hilfreich ist, wenn sich der Partner möglichst professionell betreuen lässt und im eigenen Interesse lernt, mit der Situation umzugehen. Vor allem dann, wenn sich der psychisch kranke Partner nicht helfen lassen will, ist eine Scheidung meist die bessere Lösung. Dabei muss immer klar sein, dass sich eine Scheidung auf Dauer nicht verhindern lässt. Es kann nur darum gehen, die Scheidung allenfalls aufzuschieben Situation entschärft hat.

Alles in allem

Benötigen Sie Hilfestellung, finden Sie und der Ehepartner bei der Telefonseelsorge Ansprechpartner, mit der Sie die Situation besprechen können. Auch die Deutsche Depressionshilfe, in der Betroffene und Angehörige engagieren, bietet mit regionalen Krisendiensten und Kliniken Anlaufstellen. Es gibt also eine Reihe von Möglichkeiten, die Situation konstruktiv anzugehen. Soweit Sie die Scheidung als unumgänglich betrachten, empfiehlt sich, dass Sie sich frühzeitig anwaltlich informieren und vertreten lassen.