zuletzt aktualisiert am: 11.07.2025, geschrieben von iurFRIEND-Redaktion
Viele Betroffene fragen sich bereits vor Ausfüllen des Scheidungsantrags, ob sie all ihre kleinen Rentenanwartschaften aus Nebenjobs und kurzen Beschäftigungsphasen verlieren. Die gute Nachricht: Nein, denn nicht jeder Rentenanspruch wird aufgeteilt. Liegt der monatliche Ausgleichswert eines Anrechts unter 37,45 €, der Kapitalwert eines Anrechts unter 4.494 €, bleibt dieses Anwartschaftspaket dank der sogenannten Bagatellgrenze komplett unberücksichtigt. So verhindert der Gesetzgeber unnötigen bürokratischen Aufwand und hilft Ihnen, sich auf die wirklich maßgeblichen Rentenansprüche zu konzentrieren.
Gerade bei mehreren kleinen Rentenbausteinen, etwa aus früheren Arbeitsverhältnissen oder Nebenjobs, ist der Aufwand häufig größer als der Nutzen. Am Ende geht es im Scheidungsverfahren darum, eine faire und übersichtliche Lösung für alle Vermögens- und Versorgungsfragen zu finden. Weitere wertvolle Tipps und Infos dazu, wie Sie Ihre Scheidung möglichst reibungslos abwickeln, finden Sie in unserem kostenlosen Scheidungs-InfoPaket, das Sie direkt hier anfordern können.
Versorgungsausgleich kurz erklärt – und warum es die Bagatellgrenze gibt
Der Versorgungsausgleich sorgt dafür, dass beide Ehepartner nach der Scheidung mit vergleichbaren Rentenansprüchen in den Ruhestand gehen können. Ausgeglichen werden dabei Anwartschaften aus:
der gesetzlichen Rentenversicherung,
betrieblichen Altersvorsorge,
privaten Rentenversicherungen,
Beamtenversorgungssystemen.
Allerdings ist der Teilungsaufwand – rechtlich wie organisatorisch – nicht unerheblich. Für jede einzelne Anwartschaft müssen versicherungsmathematische Gutachten erstellt, Formulare ausgefüllt und Versorgungsträger einbezogen werden. Um zu vermeiden, dass dieser Aufwand für Kleinstbeträge betrieben wird, hat der Gesetzgeber in § 18 Absatz 3 Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG) eine Bagatellgrenze eingeführt.
Ob ein Anrecht als geringfügig gilt, hängt von der Bezugsgröße des jeweiligen Kalenderjahres ab. Diese wird jährlich vom Bundesarbeitsministerium festgelegt.
So wird die Bagatellgrenze berechnet – und warum sie 2025 bei 4.494 € liegt
Ob ein Rentenanspruch als „zu gering für den Ausgleich“ gilt, hängt von einer gesetzlich festgelegten Rechenformel ab. Die Grenze orientiert sich an der sogenannten Bezugsgröße – einem sozialversicherungsrechtlichen Wert, der jährlich angepasst wird.
Für 2025 gilt – gemäß BGH, Beschluss v. 10.01.2024 (Aktenzeichen XII ZB 389/22) eine doppelte Berechnungsgrundlage:
Rentenwerte (monatliche Rente): 1 % der monatlichen Bezugsgröße Bezugsgröße 2025: 3 745 € → 3 745 € × 0,01 = 37,45 € monatliche Rente Jede Anwartschaft, die weniger als 37,45 € Monatsrente einbringt, wird nicht ausgeglichen.
Kapitalleistungen (Barwert): 120 % der monatlichen Bezugsgröße Bezugsgröße 2025: 3 745 € → 3 745 € × 1,20 = 4 494 € Kapitalwert Jeder Barwert bis einschließlich 4 494 € gilt als geringfügig und bleibt ungeteilt.
Ich habe mehrere kleine Rentenansprüche – wird wirklich nichts geteilt?
Gerade bei häufigem Jobwechsel entstehen mehrere kleine Rentenbausteine. Die entscheidende Frage lautet dann: Muss ich jeden einzelnen davon teilen lassen?
Nein – denn das Gesetz prüft jedes Anrecht für sich. Es werden nicht mehrere kleine Verträge addiert.
Beispiel: Drei Mini-Anrechte à 3.000 € → alle einzeln unter der Grenze → kein Ausgleich
Gegenteil: Ein einziges Anrecht mit 5.200 € → über der Grenze → Versorgungsausgleich findet statt
Das bedeutet: Auch wenn Sie mehrere kleine Renten gesammelt haben, werden diese häufig alle als geringfügig eingestuft – der Ausgleich entfällt automatisch.
Diese Tabelle fasst übersichtlich zusammen, wann die Bagatellgrenze gilt und wann nicht:
Bedingung
Grenze gilt?
Automatische Anwendung
Monatsrente eines Anrechts ≤ 37,45 €
Ja
Ja
Monatsrente eines Anrechts > 37,45 €
Nein
Ja
Kapitalwert eines Anrechts ≤ 4.494 €
Ja
Ja
Kapitalwert eines Anrechts > 4.494 €
Nein
Ja
Mehrere Anrechte jeweils ≤ 4.494 €
Ja (einzeln geprüft)
Ja
Mehrere Anrechte, die einzeln > 4.494 € liegen
Nicht zutreffend (Einzelprüfung)
Ja
Partnerschaftlich festgelegter Ausgleich auch unterhalb der Grenze möglich durch abweichende Vereinbarung beider Ehepartner
Wie geregelt
Nein, nur bei rechtlich bindender Vereinbarung
Was bringt Ihnen die Bagatellgrenze konkret?
Die Bagatellgrenze ist kein theoretisches Detail, sondern hat ganz praktische Auswirkungen auf Ihr Scheidungsverfahren – sowohl finanziell als auch organisatorisch.
Weniger Kosten
Keine versicherungsmathematischen Gutachten, keine Teilungsgebühren – der gesamte Ausgleichsprozess entfällt für Mini-Anrechte.
Schnellerer Ablauf
Ohne Rückfragen an Versorgungsträger kann das Gericht den Scheidungsbeschluss deutlich schneller fällen.
Klare Regelung
Die Grenze ist gesetzlich fixiert, an die Bezugsgröße gekoppelt – aber es kommt dennoch immer auf den Einzelfall an.
GUT ZU WISSEN
Weniger arbeiten, um Ausgleich zu entgehen?
Das geht nicht. Denn die Bagatellgrenze soll vor allem den bürokratischen Aufwand im Versorgungsausgleich begrenzen – sie ist nicht als Anreiz oder Erlaubnis gedacht, bewusst weniger zu arbeiten oder Beiträge einzusparen, um den Ausgleich zu umgehen. Eine Scheidung darf nicht dazu dienen, Rechte systematisch zu schmälern. Familiengerichte achten auf den „Treu-und-Glauben“-Grundsatz (§ 242 BGB) und können ungewöhnliche Gestaltungsmuster – etwa eine Reihe von künstlich befristeten Mini-Jobs – hinterfragen oder als sittenwidrig zurückweisen.
Wann lohnt sich der Versorgungsausgleich trotzdem?
Nicht immer ist es sinnvoll, die Bagatellgrenze einfach hinzunehmen. In bestimmten Fällen kann es trotz scheinbar geringer Beträge richtig sein, auf einem Ausgleich zu bestehen.
Beispiel 1: Einseitiger Rentenaufbau durch Betreuung
Sophie hat während der Ehe fünf Jahre lang die gemeinsamen Kinder betreut und keine eigenen Rentenansprüche aufgebaut. Ihr Mann Rafael dagegen erwirtschaftete während der Ehe Rentenanwartschaften im Wert von 12 000 € Kapital.
Ohne Vereinbarung erhält Sophie nach der Scheidung gar nichts, obwohl sie durch die Betreuung wesentlich zum gemeinsamen Leben beigetragen hat. Eine abweichende Teilungsvereinbarung sichert ihr einen angemessenen Ausgleich – z. B. 6 000 € Kapital –, um diese Lebensleistung zu würdigen.
Beispiel 2: Dynamische Anwartschaft mit Inflationsindexierung
Andreas besitzt eine private Rentenversicherung, deren Leistungen jährlich an die Verbraucherpreisentwicklung gekoppelt sind. Der zum Stichtag berechnete Barwert beträgt 4 300 € – knapp unter der Bagatellgrenze –, doch durch die Indexierung ist mit kräftigem Zinseszins und steigenden künftigen Rentenzahlungen zu rechnen.
Zwar bleibt die Anwartschaft automatisch ungeteilt, weil der Barwert unter 4 494 € liegt. Da sie jedoch in den nächsten Jahren deutlich an Wert gewinnen wird, sorgt eine Vereinbarung über die hälftige Teilung dafür, dass beide Partner langfristig gleichermaßen von den künftigen Erhöhungen profitieren.
Beispiel 3: Kleine gesetzliche Monatsrente knapp oberhalb der Grenze
Mia hat durch Minijobs später eine gesetzliche Monatsrente von 45 € aufgebaut – also geringfügig über der Schwelle von 37,45 €. Normalerweise würde ihr Ex-Partner automatisch 22,50 € (die Hälfte) erhalten.
Mia und ihr Ex-Partner entscheiden gemeinsam, dass der administrative Aufwand für eine Teilung von nur 22,50 € monatlich den Nutzen übersteigt. Deshalb schließen sie in der Vereinbarung aus, dass diese Monatsrente überhaupt geteilt wird – Mia behält die vollen 45 € und beide sparen Zeit und Kosten.
In solchen Fällen lohnt sich ein genauer Blick – ggf. mit fachlicher Beratung. Denn selbst kleine Unterschiede im Versorgungsausgleich können sich langfristig deutlich in der Rente bemerkbar machen.
Versorgungsausgleich bei Bagatellgrenze ehevertraglich regeln
Sie können individuelle, von den gesetzlichen Regelungen abweichende Folgen vereinbaren. Sie können in der Scheidungsfolgenvereinbarung z.B. vereinbaren:
eine hälftige Teilung aller Anwartschaften – auch unterhalb der Bagatellgrenze –
die Festlegung eines konkreten Eurobetrags anstelle des vollen Barwerts,
das vollständige Ausklammern einzelner Verträge,
die pauschale Einbeziehung oder den Ausschluss künftiger Dynamisierungen
sowie die Vereinbarung späterer Anpassungen bei veränderten Kapitalwerten.
Wichtig ist nur, dass Sie genau benennen, welche Anwartschaften Sie wie behandeln wollen (z. B. „Vertrag X wird hälftig geteilt, Vertrag Y bleibt ungeteilt“). Auf diese Weise behalten Sie Kontrolle über den Umfang des Ausgleichs, ohne in jedem Fall Gutachten beauftragen zu müssen. Die Feinspezifikationen – etwa Fristen, Formulierungen und Trägereinreichung – klärt Ihre anwaltliche Vertretung. So profitieren Sie von maximaler Flexibilität bei minimalem bürokratischem Aufwand.
Alles in allem
Mit der Bagatellgrenze haben Sie ein starkes Instrument an der Hand, um kleine Rentenanwartschaften automatisch zu schützen und sich so vor unnötigem bürokratischem Aufwand zu bewahren. So behalten Sie die Kontrolle über Ihre Altersvorsorge: Sie entscheiden gezielt, welche Ansprüche geteilt werden, und stärken so Ihr Selbstbestimmungsgefühl. Gleichzeitig sorgt die Regelung dafür, dass Ihre Lebensleistung – sei es Kinderbetreuung, Pflege oder beruflicher Einsatz – fair gewürdigt wird. So können Sie mit Zuversicht in die Zukunft blicken und Ihren Ruhestand planbar gestalten, ohne sich von Formalitäten ausbremsen zu lassen. Nutzen Sie diese Chance, schaffen Sie Klarheit und gehen Sie gestärkt in den nächsten Lebensabschnitt!