Entschädigung für langes Umgangs- und Sorgerechtsverfahren
Montag, 04.10.2021 , geschrieben von iurFRIEND-Redaktion
Geht es um Ihr Kind, ist jeder Tag für Sie wichtig. Sind Sie auf gerichtliche Hilfe angewiesen, sollten Sie erwarten dürfen, dass Ihr Antrag zur Regelung des Umgangs oder des Sorgerechts so schnell wie möglich bearbeitet und durch das Familiengericht entschieden wird. Um im Interesse des Kindeswohls eine kurze Verfahrensdauer zu gewährleisten und damit auch Druck auf die Gerichte auszuüben, hat der Gesetzgeber das sogenannte beschleunigte Familienverfahren vorgegeben. Dauert das Verfahren trotzdem länger als zumutbar, haben Sie möglicherweise Anspruch auf eine Entschädigung. Um beurteilen zu können, welche Verfahrensdauer zumutbar ist, müssen Sie wissen, wie die Familiengerichte in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren vorgehen.
Was bedeutet der Beschleunigungsgrundsatz in Kindschaftssachen?
Nach der gesetzlichen Regelung des § 155 Gesetz zum Verfahren in Familiensachen (FamFG) sind die Familiengerichte verpflichtet, in sogenannten Kindschaftssachen vorrangig und beschleunigt zu entscheiden. Es gilt das sogenannte Vorrang- und Beschleunigungsgebot.
Kindschaftssachen sind Angelegenheiten, in denen es um den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht sowie die Herausgabe des Kindes geht oder das Kindeswohl gefährdet ist (Sorgerechtsverfahren). Das Gesetz macht genaue Vorgaben, wie die Familiengerichte auf eine Lösung hinarbeiten sollen.
§ 155 FamFG konkretisiert und verschärft den allgemein für jedes Gerichtsverfahren bestehenden Beschleunigungsgrundsatz des § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG).
Das „Vorranggebot“ verpflichtet das Gericht, notfalls andere bei Gericht anhängige Rechtsfälle zurückzustellen und die betreffende Kindschaftssache vorrangig zu bearbeiten.
Bearbeitet das Gericht Ihren Antrag dann vorrangig, muss es darüber hinaus das Verfahren beschleunigt betreiben und zügig zu einer Entscheidung kommen.
Kindschaftssachen sind vornehmlich deshalb vorrangig und beschleunigt zu bearbeiten, weil nicht der Zeitverlauf über den elterlichen Streit entscheiden soll, sondern das Familiengericht. Hinzu kommt, dass der Umgang oder die Sorge für das Kind den betreffenden Elternteil emotional und persönlich meist sehr bewegt und es unzumutbar ist, wenn Sie als betroffener Elternteil sich der offensichtlich bestehenden Gleichgültigkeit oder Willkür der Gerichte ausgesetzt sehen.
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Wann rechtfertigt eine zu lange Verfahrensdauer eine Entschädigung?
Der Bundesgerichtshof hat einer Mutter eine Entschädigung in Höhe von 3.700 EUR zugesprochen. Grund war, dass die Mutter ein Umgangsrecht für ihre vier und zwei Jahre alten Kinder einklagte, die beim sorgeberechtigten Vater lebten. Erst nach vier Jahren entschied das Familiengericht über ihren Antrag. Bis dahin hatte die Mutter ihre Kinder so gut wie überhaupt nicht zu Gesicht bekommen. Der entscheidende Hemmschuh bestand darin, dass das Gericht eine Sachverständige beauftragte, die die familiären Verhältnisse prüfen sollte. Obwohl klar war, dass die benannte Sachverständige wegen ihrer hohen Arbeitsbelastung kurzfristig nicht tätig werden konnte und mehr als 14 Monate bis zur Vorlage des Gutachtens vergingen, weigerte sich das Gericht, trotz Hinweises der Mutter einen anderen Sachverständigen zu bestellen.
Die Mutter war mit der benannten Entschädigung dennoch nicht einverstanden. Der Bundesgerichtshof gestand ihr daraufhin zu, dass die Entschädigung höher ausfallen müsste. Grund dafür war, dass die Kinder sehr jung waren und das zweitgeborene Kind von Anfang an nicht bei seiner Mutter leben konnte. Das Gericht sah darin wegen des fortschreitenden Zeitverlaufs die Gefahr der irreparablen Entfremdung von Mutter und Kind.
Welche Höhe als Entschädigung angemessen ist, ließ der Bundesgerichtshof jedoch offen und überließ die Entscheidung dem Oberlandesgericht in Koblenz, das zuvor mit dem Fall befasst war (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021, Az. III ZR 72/20). Auf jeden Fall müsse die festgesetzte Entschädigung höher sein als die im Gesetz vorgesehene Pauschale von 1.200 EUR, die für jedes Jahr der Verzögerung festzusetzen ist.
Auf welcher Grundlage können Sie eine Entschädigung beanspruchen?
Bearbeitet das Familiengericht Ihren Antrag in einem Umgangs- oder Sorgerechtsverfahren nur zögerlich und empfinden Sie diese Verzögerung nachweislich als Nachteil, bestimmt § 198 Abs. II GVG einen Entschädigungsanspruch. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
Einen Nachteil vermutet das Gesetz bereits dann, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Die pauschale Entschädigung beträgt 1.200 EUR für jedes Jahr der Verzögerung (§ 198 Abs. II S. 3 GVG). Erscheint dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalles unangemessen, nicht sachgerecht, kann das Gericht einen höheren, aber auch einen niedrigeren Betrag festsetzen.
Wie ist der Verfahrensablauf in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren?
Schaubild
Nach Maßgabe des Beschleunigungsgrundsatz sind die Familiengerichte verpflichtet, spätestens einen Monat, nachdem Sie einen Antrag zur Regelung des Umgangs oder Sorgerechts gestellt haben, einen sogenannten frühen ersten Termin zur persönlichen Anhörung der Beteiligten durchzuführen (§ 155 FamFG):
Früher erster Termin bedeutet, dass die beteiligten Elternteile und meist auch das Jugendamt persönlich vor Gericht geladen werden.
Dort wird die Angelegenheit mit dem Gericht erörtert.
Ziel soll sein, gerade eine in der anfänglichen Trennungszeit der Elternteile drohende Eskalierung des elterlichen Konflikts zu vermeiden.
Das Gericht soll darauf hinwirken, dass die Eltern in einem persönlichen Gespräch möglichst unkompliziert und im Interesse des gemeinsamen Kindes eine Regelung des Umgangs oder Sorgerechts vereinbaren.
Diesen frühen ersten Termin dürfen Sie nur aus zwingenden Gründen absagen. Bloße „erhebliche“ Gründe genügen nicht. Terminliche Probleme sind im Regelfall keine zwingenden Gründe. Ein zwingender Grund kann darin bestehen, dass ein Elternteil so krank ist, dass er/sie das Haus nicht verlassen kann oder sich ohne augenblickliche Rückkehrmöglichkeit im Ausland aufhält. Erscheint ein Elternteil nicht und kann sein Ausbleiben nicht hinreichend rechtfertigen, kann das Gericht Ordnungsgeld verhängen und notfalls die Ordnungshaft androhen.
Besteht Aussicht, dass die Eltern sich irgendwie einigen, kann das Gericht das Verfahren aussetzen. Notfalls kann das Gericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung erörtern und beschließen. Damit kann das Gericht eine vorläufige Regelung zum Umgangs- oder zum Sorgerecht treffen. Diese Regelung ist vollstreckbar. Besser ist natürlich, wenn Sie sich einigen. Dann kann das Gericht die einvernehmliche Regelung als Vergleich feststellen und als vollstreckbaren Beschluss dokumentieren.
Hat Ihr Kind das 14. Lebensjahr vollendet, ist es gleichfalls persönlich zu laden und im Termin anzuhören. Jüngere Kinder kann das Gericht gleichfalls anhören, wenn diese aufgrund ihres persönlichen Entwicklungsstandes in der Lage sind, sich zu äußern. Um das Kind nicht in den elterlichen Konflikt hineinzuziehen, kann das Gericht dem minderjährigen Kind einen Verfahrensbeistand bestellen, der das Kind vor Gericht vertritt. Es ist Aufgabe des Verfahrensbeistandes, festzustellen, was dem Kindeswohl am besten dient.
SchaubildiurFRIEND Schaubild: Sorgerecht Vs Umgangsrecht
Was sollten Sie tun, wenn sich Ihr Verfahren verzögert?
Haben Sie die Einschätzung, dass das Familiengericht nicht zügig über Ihren Verfahrensantrag entscheidet, können Sie sich gegenüber dem Familiengericht beschweren (Beschleunigungsrüge nach § 155b FamFG). Das Gericht muss dann innerhalb eines Monats über Ihren Antrag entscheiden. Hält das Gericht Ihre Rüge für begründet, muss es unverzüglich geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Ihr Verfahren vorrangig und beschleunigt durchzuführen. Hält das Gericht Ihre Rüge für unbegründet, können Sie den ablehnenden Beschluss mit der Beschwerde anfechten. Das Familiengericht ist dann nicht mehr zuständig. Es muss die Akten vielmehr unverzüglich dem zuständigen Oberlandesgericht als Beschwerdegericht vorlegen. Auch das Beschwerdegericht soll spätestens innerhalb eines Monats entscheiden.
Alles in allem
Das Beschleunigungsgebot ist Teil des Verfahrensrechts. Sie sollten keinesfalls versuchen, nach eigener Einschätzung vorzugehen. Möchten Sie, dass Ihr Umgangs- oder Sorgerechtsverfahren vorrangig und beschleunigt bearbeitet wird und steht möglicherweise ein Entschädigungsanspruch im Raum, sollten Sie sich unbedingt anwaltlich beraten und vertreten lassen.